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Wirtschaftsausblick: "Das Bauchgefühl muss stimmen"
Von Matthias Widder, NachrichtenFormat.de

(nf/maw/15.01.10)
Die Konjunkturdaten zeigen vorsichtig nach oben und machen berechtigte Hoffnung, dass die gebeutelte Wirtschaft in diesem Jahr wieder Tritt fassen kann. Sicher ist das nicht. Einige Beobachter befürchten, dass der zarte Aufschwung nur ein Strohfeuer sein wird und die Krise mit noch größerer Wucht zurückkommt. Ihr Hauptargument: Die strukturellen Probleme sind nach wie vor ungelöst. NachrichtenFormat.de sprach dazu mit Sylke Schröder, Vorstand der EthikBank. Sie plädiert dafür, dass die Verbraucher die Initiative ergreifen und die Sache selbst in die Hand nehmen.

NachrichtenFormat.de: Frau Schröder, die meisten Experten sehen die Talsohle der Wirtschaftskrise durchschritten und blicken mit vorsichtigem Optimismus auf das vor uns liegende Jahr. Teilen Sie die Zuversicht?

Sylke Schröder: Kurzfristig ja, langfristig nein, denn wir haben die Ursache der Krise ja nicht an der Wurzel gepackt, und unsere Gesellschaft hat ihr Verhalten nicht grundlegend geändert. Jeder Krise gehen Vorboten voraus. Was wir erlebt haben, ist nach meiner Meinung der erste Vorbote, den die Politiker mit „Drogen“ zu bekämpfen versuchen. Diese „Drogen“ heißen zum Beispiel Abwrackprämie oder Wachstumsbeschleunigungsgesetz.

Allerdings haben sich die Finanzmärkte weitgehend erholt und scheinen nun wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Erwarten Sie dennoch neue Turbulenzen?

Die Finanzmärkte sind von den übrigen politischen und gesellschaftlichen Vorgängen nicht abgekoppelt. Sie waren in dieser Krise das Ventil, das uns gezeigt hat, dass in unserer Gesellschaft etwas Grundlegendes schief läuft. Wenn wir so weitermachen wie bisher, wird sich das mittel- bis langfristig auch oder erneut auf die Finanzmärkte auswirken.

Der Staat hat diesmal massiv interveniert und das Bankensystem vor dem Kollaps bewahrt. Angesichts der hohen Staatsverschuldung werden die Spielräume aber enger. Ist die Finanzkrise also in Wirklichkeit nicht überstanden und kommt das dicke Ende erst noch?

Mit den bereits erwähnten Stimuli kann man den Status Quo zwar eine Weile aufrecht halten, aber das dicke Ende kommt gewiss, vielleicht in drei, vielleicht in 30 Jahren. Leider ist der Mensch so gebacken, dass die Erkenntnis, etwas Grundlegendes ändern zu müssen, erst dann einsetzt, wenn es richtig wehgetan hat.

Wo liegen aus Ihrer Sicht die gravierendsten Versäumnisse?

Die Politik löst die Probleme nicht, die Ursache der Krise sind. Das größte Problem ist der Wachstumswahnsinn unserer globalisierten Zeit, der einen ganzen Rattenschwanz nach sich zieht, zum Beispiel die Tatsache, dass nicht mehr genug Arbeit für gering Qualifizierte da ist und dass selbst immer mehr Qualifizierte durch das Raster fallen, weil sie nicht mehr schnell genug, nicht strukturiert genug sind.
 
In engem Kontext dazu stehen die teils irrsinnig anmutenden so genannten Verbraucherschutzgesetze, die den Verbraucher peu-a-peu aus jeglicher Eigenverantwortung befreien. Das wird über kurz oder lang dazu führen, dass unsere Gesellschaft keine Problemlösungskompetenz mehr hat und in Lethargie verfällt. Politisch ein völlig falsches Signal. Eine stabile Gesellschaft braucht vernetzt denkende Menschen, weil diese langfristig denken.

Was halten Sie in diesem Zusammenhang von den viel kritisierten Risikoanlagen. Haben die Beteiligten hier aus Fehlern gelernt und ausreichend Konsequenzen gezogen?

Wenn Sie mit Beteiligten die Verbraucher meinen – ja. Zumindest die kritischen Verbraucher. Immer mehr Menschen sind es leid, dass das Geld sich selbst regiert und über ihr Leben bestimmen soll. Immer mehr Menschen verweigern sich dem Konsumterror, den uns Politik und Konzerne verordnen. Diese Menschen suchen nach Alternativen – auch nach alternativen Banken.

Wenn Sie mit den Beteiligten aber Banker meinen, dann kann ich Konsequenzen nicht erkennen.

Ein für viele Menschen niederschmetterndes Signal war das Scheitern des Klimagipfels in Kopenhagen. Wo kann aus Ihrer Sicht der Ansatz liegen, den Prozess hin zu einer nachhaltigen Ökonomie weiter voranzutreiben?

Der Konflikt ist die nachhaltige Ökonomie selbst. Ein Staat, der einerseits den CO2-Ausstoß um 30 oder gar 40 Prozent reduzieren will und nur wenige Tage später das Wachstumsbeschleunigungsgesetz in Kraft setzt, hat einen Zielkonflikt. Das ist das Kernproblem aller Regierungschefs. Weil es offenbar keine Problemlösung gibt, schauen sie weg und tun so, als gäbe es diesen Widerspruch zwischen Ökonomie und Ökologie nicht. Deshalb haben sie einen Begriff erfunden: Nachhaltige Wirtschaftsweise.

Hier eine Lösung zu finden, wird die vordringlichste Aufgabe der Menschheit in der gerade angebrochenen Dekade sein. Die Gesellschaft muss sich fragen: Wie wollen wir leben? Wie viel Wohlstand brauchen wir, und wie viel können wir uns leisten? Die Antwort darauf muss in ganz neuen, verbindlichen Regeln münden, Regeln gegen die insgesamt extreme Verschwendung auf unserem Planeten. Am Ende muss für jeden – Unternehmen wie Bürger – klar sein, wie viele Ressourcen er verbrauchen darf.

Der Zug scheint derzeit aber wieder in die entgegengesetzte Richtung zu fahren. Großkonzerne aus traditionellen Branchen wie etwa Energie, Automobil oder Rohstoffe haben international wieder erheblich an Wert zugelegt. Werden Ökowerte im Vergleich dazu mithalten können?

Es gibt keine Branche „Ökowerte“. Ökologische Innovationen gibt es in allen Branchen, gerade in der Energiebranche hat sich viel bewegt. Ich bin überzeugt davon, dass die Unternehmen langfristig auch wirtschaftlich erfolgreicher sind, wenn sie Nebenbedingungen in ihre Strategie einbinden, nämlich Umweltschutz und soziale Verantwortung. Das tun sie immer häufiger schon deshalb, weil immer mehr Verbraucher ihr Konsumverhalten kritisch hinterfragen und die Art und Weise der Herstellung in ihre Kaufentscheidung einbeziehen.

Derzeit wird die so genannte Kreditklemme als Bremsklotz für die Erholung der Wirtschaft thematisiert. Wie stark ist aus Ihrer Sicht die Gefahr, dass sich innovative Mittelständler nicht mehr ausreichend kapitalisieren können, um wichtige Zukunftsinvestitionen anzuschieben?

Diese Gefahr sehe ich nicht. Die Bundesbank hat die Geschäftsbanken mit Geld regelrecht überschwemmt. Wenn Banken dennoch zurückhaltend sind, könnte es ja auch sein, dass die Ursache dafür in mangelhafter Bonität oder geringer Zukunftsfähigkeit des Unternehmens zu suchen ist. Die unternehmerische Verantwortung, dass Banken mit dem ihnen anvertrauten Geld, auch im Kreditgeschäft verantwortungsbewusst umgehen müssen, wird in der öffentlichen Diskussion ausgeblendet. Deshalb halte ich die Rolle der so genannten Kredit-Mediatoren nicht nur für Geldverschwendung, sondern auch für weltfremd.

Welche konkreten Schwerpunkte setzt die EthikBank in der Strategie für 2010?

Wir werden inhaltlich weiter an der Schärfung unseres Profils arbeiten und uns stärker einmischen in den politischen Diskurs der relevanten Probleme unserer Gesellschaft. Andererseits tun wir alles in unseren Kräften stehende, um unsere Botschaft – ethisches Banking – nach außen zu tragen. Ich wünsche mir, dass in den nächsten Jahren nahezu jeder Bundesbürger weiß, dass es neben konventionellen Banken Alternativen gibt und dass eine davon EthikBank heißt. Nur dann können die Menschen wählen.
 
Und was raten Sie Anlegern für das noch frische Jahr?

Ehe sich Anleger ein Produkt anschauen, sollten sie die Bank unter die Lupe nehmen, der sie ihr Geld anvertrauen. Was erwarte ich von einer Bank? Was macht die Bank mit meinem Geld? Wie transparent ist diese Bank, auch in ihrer Preispolitik? Wie geht die Bank mit Fragen oder Problemen um? Letztendlich muss auch hier das Bauchgefühl stimmen.

Wir bedanken uns für das Gespräch!

Kurzprofil:

Die EthikBank mit Sitz in Thüringen ist eine Direktbank mit ausschließlich ethisch-ökologischer Ausrichtung. Das heißt: Das Geld der Bankkunden wird nach strengen Anlagekriterien "im Sinne von Mensch und Natur" investiert. Die Kriterien umfassen Bereiche wie Umweltverantwortung, Menschenrechte oder Sozialstandards. Als Tabu-Bereiche werden etwa Rüstung, Atomkraft oder Kinderarbeit genannt. Als erste "gläserne" Bank legt die EthikBank bis ins Detail offen, wie und wo sie das Geld ihrer Kunden investiert.

Sylke Schröder ist diplomierte Bankbetriebswirtin und gelernte Genossenschaftsbankerin. 2002 gründete sie zusammen mit ihrem Vorstandskollegen Klaus Euler die EthikBank als Ableger der Volksbank Eisenberg eG.

Hinweis der Redaktion: Für den Inhalt der Interviewaussagen ist der angegebene Gesprächspartner verantwortlich. NachrichtenFormat gibt keine Gewähr für Aktualität, Vollständigkeit und Richtigkeit. Alle Aussagen stellen eine Meinungsäußerung dar und sind keine Anlageempfehlung. Eine Haftung ist daher in jeder Hinsicht ausgeschlossen. 

Infolink zur EthikBank
Fragen zum Interview:
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