gesellschaft

Europa: Soziale Kluft wird immer größer - Zunehmende Spaltung zwischen Alt und Jung - Jugend als "verlorene Generation"
(nf/red/27.10.15) Welche Zukunftsperspektiven kann Europa seiner jungen Generation bieten? Eine Studie der Bertelsmann Stiftung kommt in dieser Frage zu alarmierenden Ergebnissen. Nahezu 30 Prozent der Kinder und Jugendlichen in der EU kämpfen demnach mit Armut und sozialer Ausgrenzung. Mehr als fünf Millionen junge Menschen sind ohne Job oder Ausbildung. Besonders dramatisch ist die Situation in den Ländern Südeuropas. Doch auch in wirtschaftlich starken Staaten wie Deutschland zeigt sich laut der Untersuchung eine wachsende Kluft zwischen Alt und Jung. Mit Sorge blicken die Autoren der Studie auch auf den mit 40 Prozent vergleichsweise hohen Anteil von atypischen Beschäftigungsverhältnissen hierzulande, die den Betroffenen in der Regel wenig materielle Sicherheit bieten. Die Stiftung warnt: "Wir können uns eine verlorene Generation in Europa weder sozial noch ökonomisch leisten."

Originaltext der Bertelsmann Stiftung:

+++ Kinder und Jugendliche sind die größten Verlierer der europäischen Wirtschafts- und Schuldenkrise. In der EU sind rund 26 Millionen Kinder und Jugendliche von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht. Das sind 27,9 Prozent aller unter 18-Jährigen. Geringe Zukunftsperspektiven haben auch die 5,4 Millionen jungen Menschen, die sich weder in Beschäftigung noch in Ausbildung befinden. Eine Kluft bei der sozialen Gerechtigkeit verläuft in Europa insbesondere zwischen Nord und Süd sowie zwischen Jung und Alt. Dies ist das Ergebnis des Social Justice Index, mit dem die Bertelsmann Stiftung jährlich untersucht, wie sich soziale Gerechtigkeit in den 28 EU-Staaten entwickelt. Deutschland belegt in diesem Index Rang 7.

5,4 Millionen junge Menschen weder in Beschäftigung noch in Ausbildung

Allein in Spanien, Griechenland, Italien und Portugal ist die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht sind, seit 2007 um 1,2 Millionen von 6,4 auf 7,6 Millionen gestiegen. Sie leben entweder in Haushalten mit weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens, leiden unter schweren materiellen Entbehrungen oder wachsen in quasi-erwerbslosen Haushalten auf.

Auch in der Altersgruppe von 20 bis 24 Jahren befinden sich viele EU-Bürger in prekären Situationen. Von ihnen sind 5,4 Millionen (17,8 Prozent) weder in Beschäftigung noch in Ausbildung. In 25 Mitgliedstaaten der EU hat sich ihre Zahl seit 2008 teils erheblich erhöht, nur in Deutschland und Schweden hat diese Altersgruppe in den vergangenen Jahren an Perspektive gewonnen. Die negativste Entwicklung hingegen verzeichneten die südeuropäischen Länder: In Spanien kletterte der Anteil der 20- bis 24-Jährigen, die weder in Beschäftigung noch in Ausbildung sind, von 16,6 auf 24,8 Prozent, in Italien sogar von 21,6 auf 32 Prozent.

Kluft zwischen den Generationen wächst

In der längerfristigen Beobachtung wächst europaweit auch die Kluft zwischen den Generationen. Während der Anteil der von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedrohten Kinder im EU-Durchschnitt seit 2007 von 26,4 auf 27,9 Prozent gestiegen ist, hat sich der entsprechende Anteil in der Bevölkerungsgruppe ab 65 Jahren von 24,4 auf 17,8 Prozent verringert. Hauptgrund: Im Laufe der Krise sind die Renten und Altersbezüge der älteren Menschen nicht beziehungsweise nicht so stark geschrumpft wie die Einkommen der jüngeren Bevölkerung.

Verschärft wird die gegensätzliche Entwicklung zwischen Jung und Alt durch drei europaweite Trends: Steigende Verschuldung der öffentlichen Haushalte belastet vor allem die jüngeren Generationen; Zukunftsinvestitionen in Bildung oder Forschung und Entwicklung stagnieren; und alternde Gesellschaften erhöhen den Druck auf die Finanzierbarkeit sozialer Sicherungssysteme. Der Schuldenstand der EU-Staaten etwa hat sich im Verhältnis zu deren Wirtschaftsleistung im Durchschnitt von 63 Prozent im Jahre 2008 auf inzwischen 88 Prozent erhöht.

Aart De Geus, Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann Stiftung, warnte vor den weiteren Folgen: "Wir können uns eine verlorene Generation in Europa weder sozial noch ökonomisch leisten. Die EU und ihre Mitgliedstaaten müssen besondere Anstrengungen unternehmen, um die Chancen junger Menschen nachhaltig zu verbessern." De Geus erinnerte dabei an die bereits bestehende Beschäftigungsgarantie und -initiative der EU für junge Menschen. Diese sinnvollen Initiativen müssten in den Mitgliedstaaten konsequent umgesetzt und mit den nötigen finanziellen Mitteln ausgestattet werden. Obwohl in vielen EU-Staaten wieder leichte Aufwärtsentwicklungen am Arbeitsmarkt zu erkennen sind, kann von einer umfassenden Trendwende in Sachen sozialer Gerechtigkeit nach Jahren der Abwärtsentwicklung noch nicht die Rede sein.

Deutschland mit Schwächen bei Generationengerechtigkeit

Deutschland liegt im Gesamtindex auf dem siebten Rang. Positiv zu Buche schlägt vor allem die sehr gute Arbeitsmarktsituation. Die Bundesrepublik hat im EU-Vergleich mit 73,8 Prozent inzwischen die zweithöchste Beschäftigungsquote hinter Schweden und ist zugleich das Land mit der niedrigsten Jugendarbeitslosigkeit (7,7 Prozent). Allerdings befinden sich rund 40 Prozent aller abhängig Beschäftigten in so genannten atypischen Beschäftigungsformen und der Anteil der Menschen, die trotz Vollzeitjob von Armut bedroht sind, ist zwischen 2009 und 2013 von 5,1 auf 6,3 Prozent gestiegen.

Der in der EU insgesamt feststellbare Trend einer wachsenden Kluft zwischen Jung und Alt bei Armut und sozialer Ausgrenzung ist in Deutschland jedoch weniger ausgeprägt als in vielen anderen EU-Staaten. Doch auch hierzulande ist etwa der Anteil der unter 18-Jährigen, die von schweren materiellen Entbehrungen betroffen sind, höher als in der Bevölkerung ab 65 Jahren (5 Prozent gegenüber 3,2 Prozent). Insgesamt hat sich Deutschland in Sachen Generationengerechtigkeit im Vergleich zur Vorjahresuntersuchung von Rang 10 auf Rang 15 verschlechtert. Die Rentenreformen haben sich negativ in der Bewertung niedergeschlagen. Auch im Bereich Bildungszugang kommt Deutschland angesichts des vergleichsweise starken Zusammenhangs zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg nicht über einen fünfzehnten Rang hinaus.

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