gesellschaft

Zuwanderung: Willkommenskultur intakt, doch "die Stimmung verändert sich"
(nf/red/07.04.17) Unumstritten war die viel beschworene Willkommenskultur in Deutschland nie - nach der Rekordzuwanderung der vergangenen zwei Jahre mit weit mehr als einer Million Neuankömmlingen hat sie zwar immer noch Bestand, zeigt sich jedoch deutlich abgeschwächt. Das geht aus einer Studie der Bertelsmann-Stiftung hervor. Demnach sehen heute 54 Prozent der Bundesbürger das Land an seiner Belastungsgrenze, wenn es um die weitere Aufnahme von Flüchtlingen geht. 2015 vertraten nur 40 Prozent der Befragten diese Position. Vor allem in Ostdeutschland überwiegt die Skepsis mittlerweile sehr deutlich. Nur noch ein Drittel der Bevölkerung hat dort den Eindruck, dass Flüchtlinge willkommen geheißen und offen aufgenommen werden. Bundesweit werden laut der Studie mögliche negative Folgen der Zuwanderung von großen Mehrheiten bejaht, etwa bei den Themen Wohnungsnot in den Ballungsräumen, Probleme in den Schulen oder finanzielle Lasten für die Sozialsysteme. Gleichzeitig sprechen sich aber die allermeisten Befragten dafür aus, dass Flüchtlinge gut integriert und möglichst rasch eine Arbeitserlaubnis erhalten sollen. Fazit der Bertelsmann-Stiftung: Die Willkommenskultur hat sich als robust erwiesen, doch die Stimmung verändert sich.

Originaltext der Bertelsmann-Stiftung:

+++ Die Willkommenskultur in Deutschland hat ihren ersten großen "Stresstest" bestanden, aber deutliche Kratzer abbekommen. Das zeigt eine Studie der Bertelsmann Stiftung auf Grundlage einer aktuellen Emnid-Umfrage. Deutschland präsentiert sich trotz der Rekordzuwanderung insbesondere von Flüchtlingen als offene und gereifte Einwanderungsgesellschaft. Allerdings geht die Bereitschaft zur weiteren Aufnahme von Flüchtlingen deutlich zurück. Insbesondere die Menschen in den ostdeutschen Bundesländern begegnen Migranten zunehmend skeptisch.

Eine deutliche Mehrheit der Befragten ist der Ansicht, dass sowohl staatliche Stellen (77 Prozent) als auch die Bevölkerung vor Ort (70 Prozent), Einwanderer willkommen heißen, die in Deutschland arbeiten oder studieren wollen. Diese Werte klettern kontinuierlich seit 2012 im Vergleich zu ähnlichen Befragungen. Es verfestigt sich somit der Eindruck, Deutschland öffne sich immer stärker für qualifizierte Einwanderer. Gegenüber Flüchtlingen wird die Willkommenskultur sowohl in Behörden (73 Prozent) als auch in der Bevölkerung (59 Prozent) allerdings als weniger ausgeprägt wahrgenommen als gegenüber Einwanderern. Aber für zügige Arbeitserlaubnis (88 Prozent) und erfolgreiche Integration (77 Prozent) von Flüchtlingen spricht sich eine konstant große Mehrheit aus.

Ost und West driften auseinander

Auffällig ist der Ost-West-Vergleich. Schon in der vorhergehenden Umfrage zur Willkommenskultur vor zwei Jahren hatte sich gezeigt, dass in den ostdeutschen Bundesländern entgegen dem Bundestrend die Skepsis gegenüber Einwanderung zugenommen hatte. Dieses Auseinanderdriften hat sich verschärft. Während im Osten mit 53 Prozent (West: 74 Prozent) immerhin noch eine knappe Mehrheit sagt, die Bevölkerung heiße Einwanderer willkommen, geht in der Flüchtlingsfrage ein Riss durchs Land: Im Osten meinen nur noch 33 Prozent, die Bevölkerung nehme Flüchtlinge offen auf. Davon hingegen sind im Westen doppelt so viele Bürger (65 Prozent) überzeugt.

Bundesweit gedreht hat sich die Bereitschaft zur weiteren Aufnahme von Flüchtlingen. Eine knappe Mehrheit der Befragten (54 Prozent) sieht Deutschland an seiner Belastungsgrenze angekommen. Vor zwei Jahren teilten diese Auffassung nur 40 Prozent. Dafür steigt die Zustimmung (von 76 auf 81 Prozent) zu der bislang nicht umgesetzten EU-Regelung, dass jedes Land, abhängig von Größe und Wirtschaftskraft, eine feste Anzahl an Flüchtlingen aufnehmen muss. "Die Menschen in Deutschland blicken selbstbewusst darauf zurück, so viele Flüchtlinge so freundlich empfangen zu haben. Sie sagen aber auch: Jetzt sind andere Länder ebenfalls an der Reihe", sagt Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann Stiftung.

Flüchtlingsthema drängt Vorteile von Einwanderung in den Hintergrund

Die Dominanz des Flüchtlingsthemas färbt stark auf die generelle Wahrnehmung von Einwanderung ab. Zwar gilt laut Emnid-Umfrage das Anwerben qualifizierter Arbeitskräfte aus dem Ausland nach wie vor für jeden Dritten als wichtigstes Instrument, um den Fachkräftemangel zu bekämpfen. Jedoch schreiben die Deutschen der Zuwanderung längst nicht mehr so positive Effekte zu wie vor zwei Jahren. Mehreinnahmen bei der Rentenversicherung (34 Prozent), Ausgleich des Fachkräftemangels (41 Prozent), Bedeutung für Ansiedlung internationaler Firmen (56 Prozent) – überall gehen die Zustimmungswerte um mehr als zehn Prozentpunkte zurück. Ähnlich stark steigen hingegen die Zustimmungswerte zu negativen Auswirkungen wie Belastung für den Sozialstaat (79 Prozent), Konfliktpotenzial (72 Prozent), Probleme in den Schulen (68 Prozent) und Verschärfung der Wohnungsnot (65 Prozent).

Im Generationenvergleich zeigt sich, dass die unter 30-Jährigen die Auswirkungen von Einwanderung positiver und gelassener betrachten als die älteren Befragten. Sie sehen kulturelle Vielfalt weitaus häufiger als Bereicherung und sehen deutlich seltener die Belastungs-grenze in Deutschland für eine Aufnahme zusätzlicher Flüchtlinge erreicht.

"Die Stimmung in der Bevölkerung gegenüber weiterer Zuwanderung verändert sich", sagt Dräger. Drei Maßnahmen seien jetzt wichtig. Erstens müsse die EU endlich für Fairness und Gerechtigkeit bei der Verteilung der Geflüchteten sorgen. Zweitens müsse das Vertrauen der Bevölkerung in das Asylmanagement von Bund und Ländern von der Registrierung über die zentrale Unterbringung und zügige Verfahren bis zur möglichen Anerkennung beziehungsweise Rückkehr gestärkt werden. Drittens müssten die Kommunen noch stärker bei der Integration der Bleibeberechtigten unterstützt werden, so Dräger. "Konkurrenzsituationen zwischen Einheimischen und Einwanderer sind zu vermeiden, zum Beispiel durch neue Investitionen in den sozialen Wohnungsbau."

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